13 April 2006
Miss Marple unterwegs am Canale Grande
Nach Henning Mankell und Kathy Reichs ist mir irgendwie der Krimistoff ausgegangen. Immerhin kann ja keiner so schnell neue Krimis nachliefern, wie ich sie verschlinge. Eine zeitlang bin ich noch mit Ake Edwardson durch den schwedischen Polizeialltag getigert, aber so richtig verfallen bin ich ihm nie. Kann ja sein, dass es an der oft vorherrschenden brütenden Hitze in Göteborg liegt und mir das frostige Ystad einfach lieber ist? Wobei ich zugegebenermaßen noch nicht in Schweden war und der Vergleich doch sehr hinkt.Diese Krimileidenschaft teile ich ja mit meiner Ma. Ob vererbt oder nicht, keine Ahnung. So versorgen wir uns immer mal wieder gegenseitig mit Tipps und Büchern. Als sie mich vor ein paar Monaten fragte, ob ich denn schon Donna Leon gelesen hätte, zuckte ich nur die Schultern und musste verneinen. Keine Ahnung, warum die Brunetti-Reihe mich nie gereizt hat. Bei mir entstand immer der Eindruck, dass es sich dabei eher um seichte Massenware handelt, so medial verbreitet der Name Donna Leon bereits durch die Welt geisterte. Auch den Verfilmungen habe ich mich anscheinend unbewusst verweigert.
Besser als gar nichts zu lesen und Venedig hat ja seine ganz eigenen Reize, da müsste die Mischung doch stimmen, dachte ich und holte mir aus der Bibliothek die ersten Fälle des Kommissar Brunetti. Wenn es sich anbietet, lese ich gern chronologisch, um mich auf die Hauptfigur und den Autor einzustellen. Mittlerweile habe ich gut die Hälfte der dreizehn veröffentlichten Bücher durch (Nr. 14 gibt’s im Juni).
Zuerst einmal war ich doch sehr überrascht über die heile Familienwelt des Commissario Brunetti. Vor allem erscheint sie mir nicht sehr typisch italienisch (Vorurteil?!). Nicht falsch verstehen, das dargestellte Verhältnis innerhalb dieser Familie ist perfekt – ein Traum, aber mir fehlen ein paar Ecken und Kanten. In meiner bisherigen Krimiwelt überwogen bis dato doch immer Kommissare oder Kommissarinnen in Form von stark ausgeprägten Individuen, dessen soziale Kontakte unter den gegebenen Grausamkeiten ihres Jobs leiden.
Die Hauptfigur der Reihe ist meiner Meinung nach aber weniger die Person Brunetti, als die alte Dame Venedig. Ihre Sonderstellung, nicht nur innerhalb Italiens, beherrscht das Geschehen. Diese Stadt hat ihre eigenen Gesetze und dies macht den Reiz der Bücher aus. Erstaunlich, wie authentisch Venedig beschrieben wird, zumindest entspricht es allem was ich selbst bei einem kurzen Besuch gesehen oder auch sonst darüber gelesen habe, wenn man bedenkt, dass die Autorin in Amerika lebt.
Die leisen Töne der Donna Leon, abseits von wilden Actionszenen, gefallen mir ganz gut. Trotzdem fehlt dem Ganzen oft Tiefe und auch der Spannungsbogen leidet unter den detailreichen und sich wiederholenden Beschreibungen des Alltäglichen. Viele Fragezeichen bleiben mir immer am Ende, wenn die hundertprozentige Klärung der Fälle heimlich, still und leise unter dem Deckmantel Mafia verschwindet und damit ein Teil der Glaubwürdigkeit verloren geht.
Sicher habe ich mich nie ganz vorurteilsfrei auf die venezianischen Kriminalfälle eingelassen. Wie schon öfter betont, leide ich am Mankell-Syndrom *gg*. Einer gewissen Vertrautheit zum geheimnisumwitterten Venedig und der Person Brunetti kann ich mich aber mittlerweile nicht mehr entziehen, so dass ich auch die anderen Bücher noch lesen werde.
lg apri alias Miss Marple
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Ich muss mich korrigieren. Wie ich gerade gelesen habe, lebt Donna Leon seit 1981 in Venedig.
lg apri